Spaziergänge im Sitzen.

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Am Schreibtisch.

Schreiben ist ein Form des Nachdenkens. Durch das Nacheinander der Worte, Sätze, Paragrafen, durch die sichtbar werdenden Regeln der Grammatik, durch die scheinbare Klarheit des Textaufbaus in Ab/Sätzen bekommen Gedanken eine Art Zuwendung, die das Gespräch nicht bieten kann.

Schreiben ist allgegenwärtig. Offizielle Mails, Nettigkeiten per WhatsApp, Kommentare unter Schülerfragen und Schülertexte, Einkaufszettel, To-Do-Listen, Arbeitsblätter, Prüfungs-Gutachten, digitale Termin-Absprachen und Urlaubsgrüße sind nur ein Ausschnitt aus meinem typischen 2017er-Alltag. Vermutlich wurde bis auf die wenigen Ausnahmen der obsessiven Tagebuch-/ und BriefeschreiberInnen vergangener Jahrhunderte nie so viel geschrieben wie heute.

Wenn das Schreiben auch einsam beginnt, endet es doch oft in anderen Umgebungen. Wobei selbst das mit dem „enden“ wohl nicht mehr zutrifft: Wo soll ein Gedanke enden, wenn ihn jemand hört, liest, speichert und weitertragen, weiterformen kann? Sharing is caring – auch das ist eine Form der Zuwendung.

Für die Einsamkeiten des Schreibens muss man sich wohl mit größerer Konsequenz entscheiden als das zu anderen Zeiten der Fall gewesen sein mag. Meine Urlaubserfahrung: Der einzige Stift im Haus ist ein Bleistift, dessen Mine mangels Spitzer mit dem Messer freigelegt werden muss. Im selben Moment ein Gefühl von Manufactum-Romantik und die Genervtheit, dass ich die vollgemschierten Zettel daheim abtippen werde. Zumindest wenn ich weiter daran arbeiten möchte.

Ich erlebe das nicht mehr als einen Verlust. Mein Bewusstsein für den Wert von Geschriebenem steigt. Ebenso meine (Selbst-)Kritikfähigkeit. Ich bin mit derart vielen Arten von Texten konfrontiert, muss so oft die Tonlage, den Stil, die Wortwahl und den Anspruch wechseln, dass meine Wertschätzung für einen guten Text weiter und weiter steigt. Und das kann dann auch heißen: Einen WhatsApp-Chat so einfühlsam zu lesen, dass aus dem Zusammenspiel von Wortwahl, Emojis, Zeit-Angaben und Erinnerungen an andere Treffen und Gespräche ein Verständnis für den Anderen in den eigenen Nachrichten durchscheint.

Aber allein dass ich gerade dieses Beispiel wähle, diese Möglichkeit, einen guten Text zu schreiben hervorheben zu müssen meine, zeigt, wie sehr ich noch ein Kind der 90er-Jahre bin. Als es anfing, cool zu sein, sich einen Schreibmaschine oder eine umständliche Kleinbildkamera zu kaufen, um sich von deren digitalen Versionen und ihren Käufer-Cliquen abzugrenzen. Standesdünkel und Konservatismus der Alternativ-Kulturen.

Noch einmal zurück zur Romantik von Messer und Bleistift und Papier: Dieses Schreiben könnte einsam bleiben, meines bleiben. Eine Möglichkeit, ein anderes Schreiben zu finden, authentischer und weniger an den anderen interessiert, an deren Meinungen und deren Fortschreiben.

Vielleicht ist das aber der falsche Gedanke, das falsche, viel zu komplizierte Bild. Idealisiert, kondensiert aus all den Lobpreisungen angeblicher und echter Künstler-Einsamkeiten. Eher ist das Schreiben derzeit wie das Spazierengehen. Man kann sich einbilden, dass man dabei alleine ist. Aber nur so lange man nicht den Kopf hebt, um all die anderen zu sehen, die einen auch sehen könnten. Die schon vor einem im Park waren. Denen man gefolgt ist. Mit gesenktem Kopf, bis der Nacken schmerzte.

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